RIP Wiktorija Amelina
Gedicht über eine Krähe
Auf einem kargen Frühlingsfeld
Steht eine Frau in Schwarz gekleidet
Ruft die Namen ihrer Schwestern
Wie ein Vogel am leeren Himmel
Sie wird sie alle aus sich herausschreien
Sie, die zu früh wegflog
Sie, die um den Tod gebettelt hat
Sie, die den Tod nicht aufhalten konnte
Sie, die nicht aufgehört hat zu warten
Sie, die nicht aufgehört hat zu glauben
Sie, die immer noch im Stillen trauert
Sie wird sie alle in den Boden schreien
Als würde sie das Feld mit Schmerz besäen
Und aus dem Schmerz und den Namen der Frauen
werden ihre neuen Schwestern aus der Erde wachsen
Und werden wieder freudig vom Leben singen
Aber was ist mit ihr, der Krähe?
Sie wird für immer auf diesem Feld bleiben
Denn nur ihr Schrei
Hält all diese Schwalben in der Luft
Hörst du, wie sie
jede einzelne bei ihrem Namen ruft?
(unbeholfene Eigenübersetzung)
Victoria Amelina war in jeder Hinsicht beeindruckend. Ich las sie schon länger auf
Twitter, folgte ihr dann auch.
Ihre Bücher gibt es bislang weder auf Englisch noch auf Deutsch. Nur einen
Auszug aus ihrem Roman „Ein Haus für Dom“, übersetzt von Yuri Durkot im Jahr 2019.
Für die Organisation Truth Hounds recherchierte und dokumentierte Victoria Amelina seit 2022 russische Kriegsverbrechen in Ukraine. Wer sie selbst darüber sprechen hören möchte:
Victoria Amelina: Writers and War Crimes
Hier etwas über Hector Abad Faciolince:
Héctor Abad sagte, dass die Bewegung 'Aguanta Ucrania' dazu gedient hat, Latinos der Ukraine näher zu bringen und dass er sie auf der ukrainischen Buchmesse kennengelernt hat. "Sie wollte gar nicht mit uns in den Osten des Landes fahren, ich auch nicht. Sergio und Catalina haben sich das im Laufe der Zeit ausgedacht und mich, sehr widerwillig, davon überzeugt, dass wir hinfahren und uns die Auswirkungen des Krieges etwas genauer ansehen sollten. Bei einem Abendessen am Sonntag war sie so begeistert von dieser lateinamerikanischen Solidarität, dass sie sagte, gut, ich komme mit.
Er sagte, er werde über das russische Verbrechen und das, was mit Amelina passiert ist, schreiben. "Dieser letzte Tweet von Victoria, in dem sie sagt, dass, wenn ich das Buch (El olvido que seremos, auf Ukrainisch) diesem Buchhändler in einem Dorf gebe, es eine Umarmung von Lateinamerika in der Ukraine ist, dieser letzte Tweet verpflichtet mich, über dieses jüngste russische Kriegsverbrechen zu berichten, zu erinnern und zu schreiben. Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, über russische Kriegsverbrechen zu berichten, also werde ich über dieses letzte Verbrechen berichten, das Victoria Amelina nicht erzählen konnte."
Es war dieser
Tweet. Sie waren gemeinsam in das befreite Dorf Kapytolivka gefahren. Dort war der Schriftsteller Volodymyr Vakulenko von den russischen Besatzern entführt worden, den sie später ermordeten. Victoria Amelina grub sein Tagebuch im Garten seines Vaters aus, die Seiten waren alle feucht geworden. Sie rettete es, sorgte dafür, dass es veröffentlicht wird und schrieb das Vorwort dazu. Am 23. Juni
präsentierte sie das Buch im Beisein von Vakulenkos Mutter und dessen Sohn auf dem Book Arsenal Literaturfestival in Kyiv erstmals der Öffentlichkeit. Sie hatte auch den IPA Prix Voltaire Special Award 2023, den Vakulenko posthum bekam, entgegengenommen und die Auszeichnung seiner Mutter gebracht.
Im März 2022 erschien ihr Artikel über die Ermordung einer ganzen Generation von ukrainischen Kulturschaffenden in den 1930ern, die sich nun zu wiederholen droht.
Cancel culture versus execute culture: Why Russian manuscripts don’t burn, but Ukrainian manuscripts burn all too well
Sie arbeitete gerade an ihrem ersten Sachbuch auf Englisch: „Looking at Women, Looking at War“.
Wieder danke. Habe die irgendwie vermurksten Links korrigiert.
Ich bin mir übrigens ziemlich sicher, dass der Anschlag genau diesem Treffen galt. Offenbar gab es ja einen Kundschafter.
Dankeschön. Ich war vorhin am iPad zugange, da sind die Links immer vermurkst. Ich hatte die auch schon korrigiert, aber sie verrrutschten wohl wieder - es liegt an den blöden An- und Abführungszeichen am iPad.
Ich glaube das eher nicht, das Lokal ist allgemein beliebt und gut frequentiert, zumal um die Uhrzeit. Ja, es gab einen - inzwischen festgenommenen - Kundschafter, der dürfte Muscovia nicht nur die Koordinaten verraten haben, sondern auch dass dort ebenfalls ukrainische Soldaten verkehrten (klar, die Front ist ja nicht so weit entfernt). Aber ob der Kundschafter vorab auch wusste, dass Victoria Amelina dort mit den Kolumbianern zu Abend isst?
Muscovia gab hinterher allerlei Propagandalügen zum Besten. Behaupteten die nicht zuerst, es sei ein militärisches Ziel gewesen? Dann kam irgendwas mit Geheimtreffen mit Nato, dann ausländische Emissäre, Nazis, blablabla. In russischen Telegram-Kanälen wurde der Tod von Victoria Amelina zum Teil gefeiert, einfach ekelhaft.
Ich vermute, dass Victoria Amelina und die Kolumbianer überwacht wurden. Für ein paar Pizza essende Soldaten verschwendet man keine hochpräzise Rakete.
Die Reaktionen in Russland sind beschämend. Noch trauriger finde ich, dass kein - nicht im Exil lebender - russischer Schriftsteller oder Schriftstellerin Trauer geäußert hat. Dazu muss man noch nicht mal das Wort Krieg erwähnen.
Ich kann natürlich Reaktionen übersehen haben.
Ich kommuniziere immer noch über Telegram mit Freunden in Russland. Aber es wird immer schwieriger. Man bemitleidet hauptsächlich sich selbst, und die NATO ist an allem schuld. Die Ukraine müsste doch nur "aufhören, Krieg zu führen"... ja das sagen die wirklich.
Oder man sagt gar nichts mehr und schiebt es auf die mit Reden verbundene Gefahr. Selbst wenn man Zugang zu VPN hat.
Momentan habe ich nur noch eine einzige Gesprächspartnerin, die sehr offen redet und die Reaktion im Land beschämend findet.
Für die russische Zivilgesellschaft wird es ein langer Weg zurück in die Zivilisiertheit.
PS:
https://www.theguardian.com/world/2022/feb/21/us-claims-russia-creating-lists-of-ukrainians-to-be-killed-or-sent-to-camps-report
Man beachte das Datum: 21.2.2022
Ja, die Liste fiel mir später auch wieder ein. Ich hatte den Artikel seinerzeit gelesen. Von daher ist es gut möglich, dass sie jemand in Kramatorsk beschattete. Wenn ihnen jemand bereits in das Dorf gefolgt ist, hätten sie es eigentlich merken müssen.
Haben Sie neulich den Artikel in der New York Times gelesen, dass Russland neue Tools besitzt, um die Nutzer von Messenger-Diensten wie Telegram, WhatsApp und Signal auszupionieren?
Cracking Down on Dissent, Russia Seeds a Surveillance Supply Chain
"One program outlined in the materials can identify when people make voice calls or send files on encrypted chat apps such as Telegram, Signal and WhatsApp. The software cannot intercept specific messages, but can determine whether someone is using multiple phones, map their relationship network by tracking communications with others, and triangulate what phones have been in certain locations on a given day. Another product can collect passwords entered on unencrypted websites."
Dass Ihre Gesprächspartnerin Kontakt nach Deutschland hat, dürfte bald kein Geheimnis mehr sein. Vielleicht wäre es besser, etwas anderes zu nutzen als Telegram.
Ich hörte, dass
Session sicher sei.
"Dass Ihre Gesprächspartnerin Kontakt nach Deutschland hat, dürfte bald kein Geheimnis mehr sein."
Das ist längst keines mehr.
Ein Umstieg auf den anderen Messenger ist aus Sicherheitsgründen wohl trotzdem sinnvoll.
An mir würde es nicht liegen.
Ja, das ist schon traurig, ich habe auch erst anlässlich ihres Todes von Wiktorija Amelina gehört. Irgendwo wurden Gedichte von ihr veröffentlcht, die mir sehr gefielen. Und ich habe im Internet gesucht, ob ich was von ihr finde (daher vielen Dank für den Link zum Romanauszug - les ich heute Abend). Fand aber auf Deutsch nur ein Buch, das u.a. einen Essay von ihr veröffentlicht: ALLES IST TEURER ALS UKRAINISCHES LEBEN. Hab ich mir bestellt.
Danke auch für die Hintergrundinformationen zu Amelina und dem Raketenangriff.
Ihre Bücher wurden bislang weder ins Deutsche noch ins Englische übertragen. Von ihren Gedichten sind mir derzeit nur Übertragungen von diesem und dem von Annette Werberger in der NZZ zitierten bekannt. Leider ist dieser Artikel inzwischen hinter einer Bezahlschranke verschwunden, schade.
Noch ein lesenswerter
Nachruf von Lia Mills, Dublin Review of Books.
Danke, ein wirklich berührender Nachruf.
Ich hätte sie gerne kennengelernt.
Ich auch. Ich kannte nur ihre Tweets, und mochte sie sehr. Die sind alle noch
online, allerdings benötigt man inzwischen einen eigenen Twitteraccount, um Tweets via Browser lesen zu können (Danke, Elmo. Nicht.) Die App hingegen ist dafür nicht nötig.
Ja, ich habe mir einen Fake-Account angelegt, um lesen zu können (via Browser). Selbst aktiv werden möchte ich auf Twitter nicht.
Ich habe Elmo auch nicht meinen wahren Namen oder andere Daten verraten. ;-)
Er hat Twitter leider ziemlich ruiniert.
Understatement des Jahres. Trotzdem gibt es einige Accounts, die ich gerne lese.
Klar, die gibt es immer noch und es sind auch gar nicht so wenige. Man muss jetzt halt sehr viel mehr stummschalten und sogar blocken, um seine Timeline sauber von rechtem Dreck zu halten ("Stolzmonat"), aber ich entdecke dort auch immer wieder interessante Accounts.
Manchmal wird mir angezeigt, dass Victoria Amelina einem Account folgt, da könnte ich gerade weinen. Ich vermisse ihre Stimme.
Es gibt da dieses Bild, wo sie vor einem zerstörten Wohnhaus in Kharkiv steht und ihr prompt ein Kommentator Photoshop vorwirft.
Dann zeigt sie die Gesamtaufnahme.
Anschließend muss man nur noch den Kommentar dieses widerwärtigen russischen Generals in der Sendung von Solowjew dagegenhalten, der den Angriff auf das Restaurant bejubelte.
Ja, ich erinnere mich daran, hatte es seinerzeit gelesen.
In russischen Telegram-Kanälen soll es auch abscheulich zugegangen sein.
Haben Sie das schon gelesen?
Franziska Davies @EFDavies
„Am Freitag in #München: @herzberg_julia & @junge_dgo laden ein zu einer 🇺🇦-🇩🇪 Gedenklesung für die von Russland ermordete Schriftstellerin Victoria Amelina, um 18:30 Uhr im Lyrikkabinett. Der Eintritt ist frei, um Spenden für @PenUkraine wird gebeten!“
Für mich ist das leider zu weit, aber vielleicht erzählen Sie ja, wie es war.