Ziemlich genau 50 Jahre ist es her, seit ich als Kind zum ersten Mal allein mit der brandneuen S-Bahn ausbüxte, um an den Starnbergersee zu fahren. Erstaunlicherweise dauerte die Fahrt damals exakt so lang wie heute: 30 Minuten.
Gestern der perfekte Sonntag: Warm, trocken, kein nachmittägliches Gewitter in Aussicht. Vieles ist wie damals, die Bergkette mit der Zugspitze natürlich, der Geruch des Sees mit seinen etwas schlickigen Steinen, Menschen, die auf der Seepromenade spazieren oder auf den Grünflächen am Seeufer picknicken, Kinder, die sich jauchzend ins schon recht warme Wasser stürzen, Mädchen, die am Bikini zupfen, aber so, dass es wirklich jeder mitbekommt, Gruppen junger Männer, die signalisieren, dass sie es tatsächlich mitbekommen haben.
Aber etwas war anders: Nicht nur gefühlt, sondern tatsächlich fast ein Drittel der Leute am See sprach nicht Deutsch: Ich hörte Arabisch, Farsi, Paschtu, aber auch Brasilianisch, Spanisch, Ukrainisch. Also ein Mix von Ausflüglern und Touristen aus München und - vermutlich - eher jüngeren Datums zugezogenen Menschen. Aus den Smartphones und Lautsprechern klang arabische Musik und Reggaetón. Das alles eher missmutig beäugt von einigen ältern Herren mit Bierflasche, wobei es bei denen sichtlich nicht die erste war. Die arabischen Gruppen rauchten Wasserpfeife, der Rest trank alles Mögliche von Aperol Sprizz im Pappbecher, Bier aus Maßkrügen bis hin zu Undefinierbarem.
Die Großfamilie neben mir spielt nonstop Macadi Nahhas, eine jordanische Sängerin. Ob ich einmal zu oft hinübergeschaut habe? Eine junge Frau steht auf und fragt höflich, ob die Musik störe. Nein, sage ich,
"Ji Mali Wali" stört ganz bestimmt nicht. Ihre Augen leuchten auf. Für die nächsten zwei Stunden bin ich Teil einer arabischen Großfamilie aus dem Libanon. Sie erzählen mir von Beirut, ich erzähle ihnen von Beirut. Das Abendessen kann getrost ausfallen und am Ende bekomme ich noch großzügig süße Baklava eingepackt, damit ich auf der halbstündigen Heimfahrt nicht verhungere.
Es muss sich alles ändern, damit alles so bleibt, wie es ist.