Freitag, 10. April 2020
Katholische Leere


Karfreitag ist einer der höchsten Feiertage der Katholischen Kirche. Noch heute setzt sie in Bayern an diesem Tag ein striktes Musik- und Tanzverbot durch. Ein Lokal, in dem heute Musik gespielt wird, und sei es Bachs Mätthäuspassion, muss mit 500 Euro Strafe rechnen, die das KVR gerne verhängt.

Zumindest diese Gefahr besteht dieses Jahr nicht, denn die Lokale sind zu. Und die Kirchen?

Ich will es wissen, und so gehe ich am sonnigen Mittag auf einen Rundgang zu den fünf schönsten Kirchen Münchens. Die Altstadt ist klein, die Wege kurz.

In der Fußgängerzone Kaufingerstraße das vertraute Bild: Ein paar Spaziergänger, Mütter (und auch Väter), aber selten Ehepaare, sind mit ihren Kleinkindern unterwegs. Die Knirpse kurven mit ihren kleinen Fahrrädern umher, alle mit buntem Helm auf dem Kopf. Sie verstehen noch nichts, freuen sich einfach über den vielen Platz, glucksen, quietschen, lachen. Ein Stück Normalität angesichts des traurigen Anblicks leerer Spielplätze. Ein Polizeiauto fährt langsam und fast geräuschlos durch die Fußgängerzone. Ich werde es noch fünfmal sehen.

Ich biege ab in die Liebfrauenstraße und dann stehe ich vor dem Dom. Die Frontfassade ist eingerüstet, renoviert wird hier seit Jahren. Eintritt durch das südliche Seitenportal. Die steinerne Kälte, im Sommer so angenehm, jetzt aber noch ein Winterhauch, umfängt mich. Ich war lange nicht mehr hier. Und eines werde ich wohl nie mehr sehen: Einen völlig leeren Frauendom. Kein Mensch ist hier, es ist totenstill. Die Weihwasserbecken sind leer, Schilder erklären warum und erteilen die längst vertrauten Mahnungen.

Die Frauenkirche ist eine der beiden größten Hallenkirchen überhaupt und eine der drei größten Backsteinkirchen nördlich der Alpen. 20.000 stehende Menschen könnten hier Platz finden. Jetzt stehe nur ich hier.

War der Frauendom je an einem Karfreitag menschenleer? Am 7. Januar 1945 hatte ein Bombenangriff den Liebfrauendom weitgehend zerstört, an Ostergottesdienste war 1945 nicht zu denken, sie fanden aber in weniger betroffenen Kirchen statt, obwohl die Amerikaner bereits einen Monat später in München einrückten.

Heute ist nichts zerstört. Das monumentale Kruzifix am Übergang vom Hauptschiff zum Chor ist, wie das an Karfreitag üblich ist, mit einem großen violetten Tuch verhüllt.

Mir steht nicht mehr der Sinn nach kunsthistorischen Entdeckungen, ich nehme Platz auf einer Bank und versinke ein wenig in Gedanken. Nach einigen Minuten hallen plötzlich Schritte. Ein blau livrierter Mann tritt auf mich zu. „Wir schließen jetzt.“ Es klingt fast barsch.

Der Dom schließt am Karfreitag, um 13.30 Uhr.

„Von der sechsten Stunde an war Finsternis über dem ganzen Land bis zur neunten Stunde. Um die neunte Stunde schrie Jesus mit lauter Stimme: Eli, Eli, lema sabachtani?, das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Matthäus 27,45–56).

Heute weist die Kirche in den schwersten Stunden ihres Heilands Menschen aus dem Gotteshaus. Den einzigen, der zu dieser Zeit hier ist. Dass es kein gläubiger Mensch war, konnte sie nicht wissen.

Seltsame Zeiten sind das.